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Eine Segelreise ins Land der Pinguine

Antarktis Törn: Erlebnisse aus einer bizarren, blau schimmernden Welt der Eisberge und schneebedeckten Gipfel. Eine Reise in Polarkleidung, spannend, voll grandioser Naturschönheiten und unvergesslicher Momente.

Ushuaia, die südlichste Stadt Südamerikas lockt alle jene an, die sich nach dem kalten, geografischen Schauer sehnen. Sie ist Ausgangspunkt für das einzige Land, das keiner Nation angehört. Zum 100-jährigen Jubiläum der Entdeckung des Südpols ist am Zipfel der Welt einiges los. Auch mich zieht es ins ewige Eis. Meine Maschine aus Buenos Aires wird bei 100 Knoten Windgeschwindigkeit buchstäblich auf die Landebahn geklatscht. Der Sturm tobt schon tagelang. Über Monsterwellen in der Drake Straße berichten sogar österreichische Zeitungen. sogar der Kurier. Eine polnische Yacht geht bei Port Williams verloren, zwei Menschen verlieren ihr Leben.

Aufbruch zum gefrorenen Kontinen

Es bläst mit 6 Beaufort als wir, eine bunt zusammengewürfelte internationale Crew in einem Schlauchboot den Beagle Kanal nach Chile übersetzten. Unser Schiff, die Santa Maria Australis liegt im legendären Yachtclub Micalvi in Puerto Williams, einem chilenischen Militärstützpunkt. Den Club dominiert der Frachter Micalvi, der hier 1962 auf Grund lief und seither den Seglern als Ponton dient. In seiner Bar treffen sich alle, die auf ein passendes Wetterfenster warten, das ihnen den Weg über die Drake Straße erträglich macht. An diesem verlassenen Ort lernt sich unsere baldige Seglerkameradschaft näher kennen. Jochen, Rastalocken tragender junger Skipper und sein schlaksiger Bootsmann James aus England begrüßen uns herzlich. In Bereuung all meiner Sünden bitte ich das Universum um Bestand vor der Unberechenbarkeit der Drake Straße, Attacken von Eisbergen und bösartigen Wellen, die Polarfahrern aller Zeiten das Grauen gelehrt haben. Mir ist die sorglose Ausgelassenheit meiner Mitsegler ein Rätsel! Gut, es sind lauter Männer, denen wohl ein ängstliches Lächeln nicht gut stehen würde. Also stürze ich mich ins Abenteuer, spitze die Ohren beim Briefing, mache mich in der Kombüse nützlich und beobachte die nautischen Kenntnisse meiner Mitsegler. Unter grauer Wolkendecke und bei fünf Grad auffrischendem Nordwind legen wir ab. Südlich von Kap Hoorn werden die Wellen ruppiger. Seevögel zeigen ihre flugakrobatischen Fähigkeiten. Die Drake Straße ist äußerst gnädig. Der Wind erreicht maximal 45 Knoten, die Welle höchstens fünf Meter. Wer das geschützte Cockpit verlässt, dem schlägt eisige Kälte und sprühende Gischt entgegen. Als die Wassertemperatur auf zwei Grad sinkt, haben wir die antarktische Konvergenz, die Treibeisgrenze erreicht. Sie ist eine Art Bühnenvorhang. Die Schauspieler, die hier auftreten sind Wind, Kälte und Eisberge. Dafür ist es im Salon gemütlich warm. Echter Luxus sind die geheizten Kabinen. Jochen ist ein erfahrener Skipper, der mit Ruhe und Feinfühligkeit seine Aufgaben versieht. Ron, Martin und ich entwickeln sich zum lustigen Trio. Wir lachen viel, erzählen von unseren Träumen und bleiben oft länger auf Wache als vorgesehen. Ron, eigentlich Bergsteiger hat sich zum Abbau seines Alltagsstress "das größte Event" für Segler verordnet, obwohl er noch nie zuvor auf einem Segelboot war. Martin, Schweizer Intellektueller mit eigener Yacht wollte zur Abwechslung mal was "Spezielles" machen. Ich, deren Sehnsucht den einsamen Flecken unseres Planten gilt, zieht es schon seit langem zum Südpol. So trifft man sich in der Drake Straße, einem Ort, wo die beiden größten Weltmeere auf einander prallen und sich erbitterte Kämpfe liefern.  

Der große Süden ist eine Welt in Schwarzweiß

Nach dreieinhalb Tagen sehen wir das erste Stück Antarktis . Smith Island gehört zu den südlichen Shetland Inseln, genau wie Deception Island, der aktivste Vulkan im Archipel und erster Ankerplatz nach dreieinhalb Tagen Überfahrt. "Neptuns Blasebalg", die Einfahrt in den Kraterring ist eine schmale Fahrrinne. Backbord wie steuerbord stehen hohe Klippen und drohen unser Boot in der schmalen Fahrrinne zu zerquetschen. Im Inneren wird einem die Namensgebung klar. Deception - Enttäuschung. Die Landschaft ist düster, rau, vergletschert und karg. Als der letzte Vulkanausbruch 1970 die Insel erschütterte, überzog Lavastaub die Natur mit einem Trauerschleier, der sich mit Schnee vermischte und schwarzes Eis erzeugte. Die zerfallen Gebäude in der Whaler`s Bay sind die Ruinen eines Walfängerdorfes. Trotz mehrer Vulkanausbrüche konnte die Natur das grausame Geschäft nicht unterbinden. Immer wieder wurde der Schlachthof neu aufgebaut. Bis 1965 hat man hier Tausende von Meerssäugern zerlegt. Heute sind sämtliche historische Plätze der Antarktis mit Gedenktafeln versehen und stehen zur Besichtigung frei. Wir ankern zwei Nächte im Vulkankrater. Unter südlicher Sonne unternehmen wir ausgedehnte Wanderungen, werden in die spanische Antarktisstation eingeladen und legen bei Schneetreiben in Richtung Antarktischer Halbinsel ab.

Eis in der Stille

Antarktika hat die Form eines Kreises aus dem ein tausend Kilometer langer Finger, die Antarktische Halbinsel herausragt. Der einzige Teil, der Seefahrern zugängig ist. Überall sonst versperrt das Schelfeis den Zutritt. Strömungen setzten die Eismassen in Bewegung und machen die von Inseln und Buchten gesäumte Küste im Sommer teilweise eisfrei. Zahlreiche Pinguine, Seevögel und Robben nutzen die Antarktische Halbinsel als Sommerquartier. Sie fressen sich am antarktischen Krill voll und gehen ihrem Brutgeschäft nach. Diese bizarre, blau schimmernde Welt der Eisberge und schneebedeckten Gipfel ist das Ziel unseres Törns. Alle meine Ängste sind verflogen! Ich erlebe eine "Symphonie der Sinne". So weit das Auge reicht riesige Skulpturen der Schöpfung in denen sich das Licht smaragdgrün bricht, über deren Spiegelbilder wir gleiten oder in deren Nachbarschaft wir ankern. Eisberge sind Zeugen der Vergangenheit, die vor langer Zeit vom Schelfeis losbrachen, von Seegang geformt wurden und in ihren zusammengepressten Schneemassen die Klimageschichte unseres Planeten speichern. Meiner Intuition überlasse ich es, welche Momentaufnahmen ich mit nach Hause nehme. Wenn die Eisberge undurchdringliche Barrieren bilden, müssen wir um sie herumzirkeln und durch Felder von Treibeis pflügen. Unter Poltern und Knacken zerschellen sie am Rumpf. Ein landschaftliches Highlight ist der Lemaire Kanal. Die umgebenden Berge erheben sich bis 1000 Meter Höhe. Spektakuläre Felszacken spiegeln sich kilometerlang in seinen geschützten Wasserflächen. Die kalbenden Gletscher sorgen für einen nicht abreißenden Nachschub an schwimmenden Eis. Etappenziel ist eine schmale Bucht. Jochen vertraut auf so genannte "Krokis", von Hand gezeichneten Skizzen, die unter den Fahrtenseglern weitergegeben werden. Wir vertäuen das Schiff mit vier hoch in den Felsen verzurrten Landleinen. Von oben sieht es wie eine zwischen verschneiten Felsen vernetzte Spinne aus.

Leben auf dem Eis

Wer die lange Reise zu den Bewohnern der Antarktischen Halbinsel in Kauf genommen hat, darf auch ihr Gast sein. Die Robben lümmeln wie Urlauber auf ihren Eisschollen und lassen sich beim Sonnenbaden nicht stören. Sie tun nichts, außer sich manchmal den Bauch kratzen und den Kopf heben. Die Kolonien der Eselspinguine zu besuchen, ist faszinierend. Ich lausche ihren IA-IA Rufen und beobachte amüsiert, die Männchen, wenn sie unermüdlich Steinchen sammeln um das Nest ihrer Liebsten auszubauen, während sie die zwei Eier im Federkleid warm hält. Steinchen werden dort geklaut, wo der Pinguinmann das eigene Nest nicht verteidigen kann, weil er fischen ist. Lautstark protestierend versucht sie die Räuber zu verjagen. Aussichtslos! Das Brüten darf nicht unterbrochen werden, auch wenn einem die Steinchen unterm Hintern weg geklaut werden. "Wo ist der Alte?", ist ihrem Gesichtsausdruck förmlich abzulesen. Köstliche Szenen! Ich höre noch die Eisschollen unter dem Rumpf bersten, den Polarwind pfeifen und die Seeelefanten brüllen. Sehe noch die Wale neben uns auftauchen, und spüre noch meine eiskalten Finger, die den Auslöser nicht mehr finden. Unvergesslich der Moment als Schnee unser Deck mit eine mit weißen Mantel überzieht, wir Heiligen Abend an einem halbversunkenen Walfänger längsseits gehen und mit dem Beil Eis vom nächsten Eisberg für "Whisky on the rocks" hacken. Auch Sylvester 2010 wird mir immer in Erinnerung bleiben, als wir auf 66° Süd im Nebel am Radar hingen, zwei riesige Eisberge die Einfahrt zur Ukrainischen Polarstation versperren und uns der Basekommander ein Lotsenboot schickt. Gefeiert wird mit selbst gebrannten Wodka, Buffet und einem Feuerwerk aus abgelaufenen Leuchtfeuerraketen. Die Mannschaft empfängt uns mit Anzug und Krawatte. Der Basekommader entpuppte sich als tanzwütig und sehr sehnsüchtig dem weibliche Geschlecht, also mir gegenüber. Er bleibt ein Gentleman und ist dankbar für jeden Tanz. Die Jungs verbringen ein ganzes Jahr in dieser eisigen Einsamkeit. Ihre Gastfreundschaft ist rührend.

Kap Hoorn liegt 600 Meilen nördlich

Gerne wäre ich noch einige Wochen geblieben. Das Schiff wurde für mich zum segelnden Zuhause, die Segelkameraden zu Gleichgesinnten und die Antarktische Halbinsel zu einer Landschaft, die mir nie das Fürchten lehrte. Zurück nach Chile brauchen wir fünfeinhalb Tage. Kurs immer hart am Wind. Das Schiff fällt oft ächzend in Wellentäler und wird von Wassermassen überflutet. Der Lagemesser zeigt Werte bis zu 45°. Es bläst ständig mit 40-55 Knoten. Fliegende Gischt und das Heulen des Windes erzeugen echte Drake Straße Atmosphäre. Die Arbeiten an Bord werden mühsam. Der Generator gibt den Geist auf, ebenso die Seewasserpumpe. Ich schöpfe Salzwasser mit der Pütz und fülle leere Plastikflaschen um damit die WCs zu spülen. Als endlich Kap Hoorn in Sicht kommt bin ich froh, dass diese Stampferei bald ein Ende hat. Ankern vor dem Leuchtturm ist leider nicht möglich. David unser 74-jähriger Australier ist zu Tränen gerührt. Bereits als Jugendlicher hat er von dieser Reise geträumt, die somit in Erfüllung ging.

Wir sind Reisende durch die Schöpfung. Diese Erkenntnis begleitet all meine Wege und erfüllt mich speziell hier am Ende der Welt mit großer Dankbarkeit dies alles erleben zu dürfen.

Text: Andrea Sikorski

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